Eine Frage, die nicht nur Videojournalisten, sondern letztlich alle betrifft, die journalistische, bzw. dokumentarische Filme produzieren, was Firmenvideos einschließt: Brauche ich vorab eine Art Drehbuch/Konzept oder nicht? Ich kann mich gut daran erinnern, wie sehr sie mich zu Beginn meiner Laufbahn verwirrt hat, denn eine klare Antwort schien es nicht zu geben, weder von erfahrenen Kollegen noch in der Fachliteratur. Einige Jahrzehnte später sehe ich (hoffe ich zumindest) etwas klarer:
Wie planbar ist das pralle Leben?
Im Grunde handelt es sich um ein klassisches „Henne-Ei-Problem“: Um einen guten Dokumentarfilm zu machen, braucht es vorab ein Konzept mit einer stimmigen Dramaturgie, doch um die zu entwickeln, muss der Film eigentlich schon gedreht worden sein, denn bekanntlich ist Realität kaum planbar. Im Bereich Factual Entertainment wird das Dilemma oft so gelöst, dass man zwar mit dokumentarischen Mitteln arbeitet, gleichzeitig aber so inszeniert wie bei einem Spielfilm. Diese Vorgehensweise (Branchenjargon: Scripted Reality) verbietet sich im Journalismus per se, hat aber durchaus ihre Berechtigung dort, wo Filme gar nicht objektiv sein müssen und von denen es auch niemand erwartet – z.B. Imagefilme. Bei solchen Produktionen würde ich generell empfehlen, stringent nach einem klassischen Drehbuch zu arbeiten, weil es allen Beteiligten eine Menge Arbeit erspart.
Wie sieht es nun bei rein journalistischen Filmen aus? Ich möchte hierbei zwischen gebauten Beiträgen und Reportagen unterscheiden. Gebaute Beiträge sind solche, die, wie der Name schon andeutet, aus Themenbildern und Interviewpassagen bestehen, wobei ein Off-Kommentar wesentliche Informationen vermittelt. In Nachrichtensendungen und TV-Magazinen sind sie dominierend. Erfahrene Autoren und Autorinnen benötigen für solche kurzen Filme kein Script, folgt die Dramaturgie doch einem einfachen Drei-Akt-Schema, das man irgendwann verinnerlicht hat, mögliche Varianten eingeschlossen. Anfängern empfehle ich allerdings, auch bei „Kurzware“ vorab ein Konzept schreiben, womit aber kein Drehbuch gemeint ist. Eine einfache Tabelle, in der die benötigten Motive und Fragen an die Interviewpartner chronologisch aufgelistet sind, reicht völlig aus.
Keine Dichtkunst erforderlich: Tabellarisches Script für Beitrag, Reportage oder Doku.
Keinesfalls sollte man sklavisch daran kleben, denn Realität ist eben sperrig, manchmal bietet sie mehr, manchmal weniger, als man sich am Schreibtisch vorgestellt hat. Trotzdem hat ein schriftliches Konzept seine Berechtigung, zwingt es einen doch, ständig zu hinterfragen, wo man eigentlich gerade steht.
Das Konzept: Für längere Dokus ein Muss!
Für längere Filme gilt das besonders, denn hier funktioniert der simple Dreiakter nicht mehr. Ein dokumentarischer Langfilm bedarf einer ähnlich ausgefeilten Dramaturgie wie ein Spielfilm und ohne Konzept ist man hier ganz schnell „lost“, um mal die Jugendsprache zu bemühen. Allerdings muss man auch hierfür keine Drehbücher schreiben, die oben gezeigte Tabelle, nur entsprechend länger, tut es völlig. Das gilt ebenso für Reportagen, obwohl sie noch weniger planbar sind, einfach weil sie im Kern darin bestehen, Menschen bei dem zu begleiten, was sie eben gerade tun.
Wenn das Thema z.B. „Eine Schicht bei der Feuerwehr“ ist, weiß niemand, was geschehen wird, auch nicht die Feuerwehrleute selbst. Allerdings lässt sich im Rahmen der Recherche ermitteln, womit grundsätzlich zu rechnen ist und mit diesen Informationen kann man durchaus ein Konzept verfassen, das zumindest die Grobstruktur festlegt: Wen interviewe ich wann, wo sind zwingend Wendepunkte erforderlich? Wie viele Einsätze meiner Feuerwehrleute brauche ich überhaupt, um auf die nötige Sendelänge zu kommen … undsoweiter. Ganz nebenbei fallen einem beim Schreiben auch organisatorische oder technische Aspekte auf, die man sonst vielleicht übersehen hätte. Das könnte, um beim Beispiel zu bleiben, die Tatsache sein, dass man als Journalist für gewöhnlich nicht in Einsatzfahrzeugen mitfahren darf. Folglich müssen dort Actioncams eingebaut werden.
Mit den Jahren bin recht gut darin geworden, auch scheinbar nicht-planbare Stories zu planen, wobei ich allerdings auch ständig meine „Hausaufgaben“ mache: Im Laufe eines Drehtages nehme ich regelmäßig das Konzept zur Hand und hake ab, was ich bekommen habe, um die Story, so wie sie mir vorschwebt, zu erzählen. Manchmal ist das nur wenig, weil die Realität meinen tollen Plan schlichtweg überrollt hat, aber sei’s drum; dann muss ich mir eben Alternativen überlegen, was während des Drehs noch sehr viel besser machbar ist als später am Schnittrechner.
Just my two cents:
Auch bei dokumentarischen Formen ist vorab gründliche Denkarbeit und ein Mindestmaß an Verschriftlichung sinnvoll. Die Alternative wäre Drehen nach dem „Staubsauger-Prinzip“, d.h. am besten vier oder fünf Kamerateams an den Start bringen und sie „draufhalten lassen“, bis sämtliche Speicherkarten voll sind. Aus so einem Material-Tsunami eine funktionierende Story zu basteln, ist zwar möglich, mir persönlich aber ein Graus und es kann durchaus passieren, dass am Ende die filmische Entsprechung einer Mehlpampe steht: Viel Masse, aber wenig Struktur, Substanz und Aroma.
Natürlich gibt es Ausnahmesituationen (z.B. Naturkatastrophen), wo man so vorgehen muss, einfach weil es anders nicht geht, doch fast immer ist eine geplante Vorgehensweise ökonomischer und führt auch zu besseren Ergebnissen. „Aber das kostet Zeit!“ Stimmt schon, das Schreiben eines Konzepts kann durchaus mehrere Stunden, bei längeren Dokus auch Tage oder Wochen in Anspruch nehmen, aber irgendwann ist diese (Denk-)Arbeit ohnehin fällig – spätestens nach Drehschluss.